Der elektronische Datenaustausch (EDI) beschreibt den Austausch strukturierter elektronischer Geschäftsdokumente zwischen verschiedenen Geschäftspartnern. Es handelt sich dabei nicht um eine spezifische Technologie, sondern um eine Kombination aus elektronischen Prozessen, Austauschprotokollen und Geschäftsdokumentenstandards mit dem Ziel, die automatisierte Kommunikation von Geschäftsinformationen zwischen zwei IT-Systemen zu ermöglichen, ohne menschliches Eingreifen.
Diese nahtlose und medienbruchfreie Kommunikation erlaubt eine hohe Prozessautomatisierung, indem Geschäftsinformationen schnell und papierlos zwischen verschiedenen Systemen ausgetauscht werden können. Dieser medienbruchfreie Austausch bedeutet, dass keine manuellen Eingriffe notwendig sind – die Daten fließen direkt von einem System in das andere, ohne den Wechsel eines informationstragenden Mediums wie beim manuellen Abtippen einer Papierrechnung.
Im Rahmen von EDI können verschiedene Daten ausgetauscht werden, wie elektronische Bestellungen, Lieferscheine, Rechnungen, Stammdaten oder branchenspezifische Informationen wie Überweisungen, Lieferabrufe, Zeitlisten und Personaldaten.
Insbesondere im Supply-Chain-Management spielt EDI eine wesentliche Rolle, da der Informationsfluss die Grundlage für die Effizienz der Lieferkette bildet. Ohne EDI ist eine automatisierte Supply-Chain kaum vorstellbar, da der Informationsaustausch eine essenzielle Rolle spielt. Die Entwicklung von EDI ist stark mit dem Fortschritt in der Elektronik und der zunehmenden Vernetzung von Unternehmen verbunden. Diese Entwicklung lässt sich grob in vier Phasen unterteilen, wie in der nachfolgenden Grafik dargestellt.
Die Anfangsphase
Die Anfänge des EDI lassen sich bis in die Zeit der Berliner Luftbrücke zurückverfolgen, die im Hinblick auf die Logistik eine Mammutaufgabe für alle Beteiligten darstellte. Wie aus der folgenden Abbildung hervorgeht, war West-Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg ein isoliertes Stück Land, mitten in der sowjetischen Besatzungszone.
Im Jahr 1948 wurden die Spannungen zwischen Ost und West immer stärker, was schließlich dazu führte, dass die Sowjetunion alle Landverbindungen von Westdeutschland nach West-Berlin blockierte. Damit war die Stadt von der Versorgung abgeschnitten und konnte nur mehr aus der Luft versorgt werden.
Die Herausforderung war es nun, eine ganze Stadt aus der Luft zu versorgen — von Lebensmitteln angefangen über Medikamente, Benzin, Kohle, etc. Die folgende Abbildung zeigt eine beladene Douglas C47 Skytrain Maschine.
Die Versorgung aus der Luft war für die Westalliierten in vielerlei Hinsicht problematisch. Einerseits mussten die Waren einheitlich erfasst werden — bei Frachtlisten in den Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch keine leichte Aufgabe. Des Weiteren wurden unterschiedliche Maßeinheiten verwendet — das angloamerikanische Maßsystem und das metrische System.
Zum anderen mussten die einzelnen Lieferungen aus der Luft bereits vor Ankunft der Flugzeuge am Flughafen Tempelhof vorangekündigt werden, damit die Logistik am Boden entsprechend vorbereitet werden konnte.
Der zuständige Luftwaffenoffizier Edward A. Guilbert und andere Logistikoffiziere entwickelten daher standardisierte Frachtlisten, die auch per Funk durchgegeben werden konnten. Damit waren zwei Grundlagen für den elektronischen Datenaustausch geschaffen — die einheitliche Auszeichnung von Waren und Lieferungen und die Übermittlung der Daten über einen elektronischen Kanal.
Edward A. Guilbert arbeitete später in der Privatwirtschaft und half mit, die ersten EDI-Spezifikationen zu entwickeln. Noch heute wird für richtungsweisende Leistungen in diesem Bereich der Edward A. Guilbert e-Business Professional Award verliehen.
Erste Netzwerke
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die rasante Entwicklung der Automatisierungstechnik, die schließlich auch die ersten Großrechner hervorbrachte. Die folgende Abbildung zeigt ein IBM System/360 im Einsatz bei Volkswagen.
Sehr gut zu erkennen sind auf der rechten Seite des Bildes die großen Magnetbänder, auf denen die Daten gespeichert wurden. Wollte man Daten an ein anderes Unternehmen übermitteln, so wurden diese Magnetbänder per Post versendet. Der Postbote war somit im wahrsten Sinne des Wortes ein Datenträger.
Mit der steigenden Vernetzung von Unternehmen begann man auch den elektronischen Datenaustausch dahingehend zu optimieren, dass Daten fortan direkt von System zu System über elektronische Netze ausgetauscht werden konnten. Zum Einsatz kamen dabei vor allem Dial-Up-Verbindungen — zumeist über Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen den Unternehmen. Da diese Art der Vernetzung schlecht skaliert (quadratisches Wachstum der Anzahl der Verbindungen), begann man mit der Entwicklung von eigenen Netzwerken zur Übermittlung von EDI-Daten. Diese Netzwerke wurden zumeist von den großen nationalen Telekommunikationsunternehmen betrieben und boten im Vergleich zu Punkt-zu-Punkt-Verbindungen eine Reihe von Vorteilen. So konnten Nachrichten zum Beispiel im Netzwerk vorgehalten werden, bis sich der andere Partner wieder mit seiner Dial-up-Verbindung in das Netzwerk eingewählt hatte. Das Konzept der „EDI-Mailbox“ wurde damit geboren.
Noch heute wird im Bereich des elektronischen Datenaustausches der Begriff des Value-Added-Netzworks (VAN) für diese Art von Netzwerken verwendet.
Einfache Supply-Chain
Frühere Supply-Chains, wie im klassischen Tante-Emma-Laden der 50er-Jahre, verließen sich auf manuelle Prozesse und Erfahrung, um den Informationsfluss zu steuern. Bestellungen wurden aufgrund geschätzter Absätze oder des Wissens der Ladenbesitzer über den zu erwartenden Bedarf getätigt. Dabei kam es häufig zu Fehleinschätzungen, was zu Engpässen und unverfügbaren Produkten für die Kunden führte.
In der Vergangenheit waren Supply-Chains stark von manuellen Methoden wie Papier, Telefon, Fax oder Email geprägt. Industrielle Abläufe folgten oft dem Motto „Sell what you buy“, wobei Produkte von Vorlieferanten an Abnehmer weitergeschoben wurden, ohne genaue Anpassung an die tatsächliche Nachfrage. Dies führte zu Lagerbeständen bei unpassenden Produkten oder Engpässen, da die Produktion nicht ausreichend auf den Bedarf abgestimmt war.
Einführung des Strichcodes im Jahre 1974
Im Hinblick auf die einheitliche Produktauszeichnung stellte die Einführung des Strichcodes im Jahre 1974 einen weiteren wichtigen Meilenstein dar. So konnten die Produktinformationen nicht nur für den elektronischen Datenaustausch genutzt werden, sondern auch automatisiert von optischen Lesegeräten erfasst werden.
Das Internetzeitalter
Die späten siebziger Jahre waren von der Konsolidierung der vormals heterogenen Netzwerke mittels einer homogenen Protokollebene geprägt. Ein wichtiger Meilenstein war die Einführung von TCP zur Vernetzung heterogener Netze und die Einführung von IP für die eindeutige Adressierung der einzelnen Rechner im Internet.
1989 begann Tim Berners-Lee am CERN mit der Entwicklung des World-Wide-Web und setzte mit den ersten Versionen der HTTP- und HTML-Standards weitere wichtige Meilensteine. Das HTTP-Protokoll, über welches heute vorrangig HTML/CSS/JS-Dateien zur Darstellung von Webanwendungen transportiert werden, kann auch zum Transport von EDI-Dateien verwendet werden.
Da die Vernetzung von Unternehmensnetzwerken nun immer einfacher wurde, begann man auch im Bereich der elektronischen Geschäftsdokumente mit der Definition von einheitlichen Standards und Vorgaben. Im Jahr 1988 wurde die erste offizielle Version des UN/EDIFACT Directories publiziert. Spätere Versionen dieses Directories, wie beispielsweise D01B, dienen heute noch als die Basis für EDIFACT-Subsets, wie das EANCOM-Format.
Im Jahr 1998 wurde schließlich die XML-Spezifikation veröffentlicht, die einen weiteren Boom in Richtung e-Standards auslöste. Rund um die Dot-Com-Blase entstanden viele neue Startups, die eine Revolution im Bereich des e-Business versprachen. Auf den Startup-Gräbern stehen heute Namen, die nur mehr wenige kennen — z.B. Commerce One.
Das Internetzeitalter bedeutete für den elektronischen Datenaustausch aus zweierlei Hinsicht eine Vereinfachung. Zum einen wurden die Datenverbindungen immer günstiger und damit auch für kleinere Unternehmen erschwinglich. Zum anderen wurden neue EDI-Protokolle auf Basis von offen verfügbaren Standards entwickelt — als Beispiel sei hier AS2 auf Basis von HTTP zu nennen. In geopolitischer Hinsicht trug die steigende Globalisierung und der Wegfall von Handelsbeschränkungen (z.B. innerhalb der EU) zu einer weiteren Vernetzung von Unternehmen bei.
EDI-as-a-Service
Nach dem Platzen der Dot-Com-Blase begann sich das Thema der Serviceorientierung zu entwickeln. Unternehmen stellen dabei für andere Unternehmen relevante Geschäftsfunktionalität über einheitlich definierte Schnittstellen über ein Netzwerk zu Verfügung. Damit können beispielsweise Bestellungen aufgegeben werden, Reservierungen vorgenommen werden, etc. Bekannt wurde dabei der Standard-Stack mit UDDI/WSDL und SOAP. Obwohl für bestimmte Zwecke durchaus einsetzbar, bekamen diese Standards im Bereich des elektronischen Datenaustausches nie eine wirklich Signifikanz. EDI-Daten wurden weiterhin auf Basis von EDIFACT oder ANSI X.12 über die Standardprotokolle wie X.400 oder AS2 ausgetauscht. Mit dem Ende des ersten Jahrzehnts im neuen Millennium begannen sich RESTful Services immer mehr durchzusetzen. Anstatt starrer WSDL-Kontrakte setzte man nun auf leichtgewichtige Ansätze — oftmals ganz ohne XML auf Basis von JSON.
Im Bereich des elektronischen Datenaustausches setzte man im neuen Jahrtausend verstärkt auf das Konzept von Managed Services. Anstatt teure EDI-Infrastrukturen in-house zu betreiben, übernehmen externe Dienstleister die Abwicklung der EDI-Agenden im Unternehmen. Die Unternehmen selbst stellen nur mehr eine einheitliche Schnittstelle zum ERP oder FIBU-System zur Verfügung — die gesamte restliche Abwicklung übernimmt anschließend der Dienstleister.
Als Beispiel seien hier die Managed EDI-Services von ecosio genannt, mit Hilfe derer EDI-Aufgaben wie Routing, Konvertierung, Signatur und Archivierung mit geringem finanziellen Aufwand einfach und schnell realisiert werden können. Die Datenübernahme zwischen dem ERP-System erfolgt dabei entweder über Import- und Exportdateien, welche das ERP-System zur Verfügung stellt, oder über direkte ERPEL-Schnittstellen, die bereits vom Hersteller in die Software integriert worden sind.
Die dabei verwendete ERPEL-Schnittstelle (ERP Exchange Language) setzt auf RESTful Services, die bei der Kommunikation zwischen ERP-System und EDI-Dienstleister eingesetzt werden. Mit Hilfe dieser RESTful-Integration wird das ERP-System zum verlängerten Arm des EDI-Netzwerks und ein homogener Datenkreislauf zwischen den Unternehmen entsteht.
Wie sehen moderne Lieferketten heute aus?
Moderne Supply-Chains sind stark durch eine enge Verzahnung der beteiligten Partner geprägt, bei der detaillierte Prognosen über den erwarteten Bedarf von Abnehmern an Vorlieferanten kommuniziert werden. Das Motto lautet jetzt „Buy what you sell“, im Gegensatz zu früheren Abläufen, die Produkte von Produzenten „geschoben (push)“ haben. Heutzutage „ziehen (pull)“ Abnehmer die Produkte, was eine genauere Planung ermöglicht und zu vermeiden hilft, dass zu große Lagerbestände entstehen oder Lieferungen aufgrund fehlender Bestände ausfallen.
Die Implementierung elektronischen Datenaustauschs (EDI) ist für moderne Lieferketten, wie im Handel oder der Automobilindustrie (besonders Just-in-Time und Just-in-Sequence), unverzichtbar. EDI automatisiert Geschäftsprozesse und bietet zahlreiche operative Vorteile, darunter schnellere Übertragungszeiten, geringere Kosten, weniger Fehler bei der Dateneingabe und die Reduzierung von papiergebundenen Dokumenten.
Für Unternehmen eröffnet der Einsatz von EDI ein breites Spektrum an Vorteilen, indem geschäftsrelevante Informationen schneller und strukturierter vorliegen. Dies ermöglicht eine verbesserte Prozesssteuerung durch die Verwendung von Business Intelligence-Methoden für eine effizientere Planung, Entscheidungsfindung und Kontrolle. Unternehmen können von einfacheren Soll-/Ist-Vergleichen, Abweichungsanalysen, neuen Prognoseverfahren, schneller verfügbaren Informationen bis hin zu verbessertem Cash-Management und einer besseren Bestandsübersicht profitieren. EDI trägt dazu bei, Durchlaufzeiten zu reduzieren, Kosten zu senken und die Effizienz in verschiedenen Unternehmensbereichen zu steigern.
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Image credits:
Berliner Luftbrücke, Rosinenbomber im Landeanflug, IBM 360, NEXT-Server: Wikimedia Commons
Beladene Douglas C47 Skytrain: Zeitung Die Welt